Julia möchte Julius sein – Geschlechtsänderung nach dem geplanten SBGG

I. Fragen zum Thema

Selbst über das eigene Geschlecht bestimmen – ist das erlaubt, ist es möglich, jederzeit, für jede Person und auch für Minderjährige? Wie lauten die Antworten?

II. Metamorphosen – ein Thema so alt wie die Menschheit

Transsexualität, anders ausgedrückt Geschlechterwechsel oder Verwandlung des Geschlechts, war bereits Thema in der Antike und bewegt bis heute die Menschen.

In Ovids Metamorphosen geschieht die rettende Geschlechtsverwandlung der Iphis durch göttliche Hilfe. Seiner schwangeren Frau sagt der Vater von Iphis, er werde das Kind nicht annehmen, sollte es eine Tochter sein. Die Kosten für den Unterhalt waren ihm wohl zu hoch. Die Mutter fleht die Göttin Isis an, ihr zu helfen. Diese rät ihr, das Mädchen wie einen Jungen aufwachsen zu lassen.

Über das wahre Geschlecht von Iphis wissen nur sie, die Mutter und die Amme Bescheid. Mit 13 Jahren wird Iphis verlobt. Sie verliebt sich in ihre Braut Lanthe. Die gleichgeschlechtliche Liebe ist für Iphis unnatürlich, ihr Körperempfinden als Mädchen bedeutender als ihre Sozialisation. Solange sie nur als Junge erscheint, empfindet sie ihre Liebe zu einem Mädchen als Täuschung der eigenen aber auch der Gefühle der anderen.

Warum konnte Iphis ihre Liebe zu Lanthe nicht leben? Durfte eine Frau aus gesellschaftlichen Gründen keine Frau lieben? Welche Bedeutung hat der Vollzug der Ehe, der ohne Phallus rein physisch unmöglich ist? Sind Liebe, Ehe und Fortpflanzung untrennbar verbunden, verhindern die Liebe, und das schon seit der Antike?

Als die bevorstehende Hochzeit nicht mehr aufgeschoben werden kann, erhört die Göttin das Flehen der Mutter und verwandelt Iphis in einen Jungen. Erst mit dem „richtigen“ Körper, kann (darf) sie ihre Liebe leben, obwohl diese bereits vorher vorhanden war.

In den Metamorphosen gibt es einen weiteren Geschlechtswechsel, den des Tiresias. Dieser wurde zur Frau und verwandelte sich nach sieben Jahren wieder zurück zum Mann, Da er die Liebe als Mann und Frau kennengelernt hatte, hielt man ihn für außergewöhnlich lebensklug.
Als sich der Gott Jupiter mit seiner Göttin Juno stritten, ob die Lust der Frau größer sei als die des Mannes, wurde Tiresias als kompetenter und neutraler Zeuge gehört.

Man sieht, Transsexualität hat eine lange, komplexe und soziokulturell interessante Geschichte.

III. Nicht binäre Personen

Diese wird in der heutigen Zeit um eine Variante bereichert: Ist die eindeutige Zuordnung zu Mann oder Frau nicht eine Einschränkung? Schließlich gibt es Menschen, die sich weder dem einen noch dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen trotz eindeutiger, körperlicher Geschlechtsmerkmale.

Ganz aktuell wird dieses Thema aufgegriffen in dem Buch von Kim de L´Horizon, „BLUTBUCH“, das jüngst auch als Schauspiel im Staatstheater Hannover das Premierenpublikum begeisterte:
Die Erzählperson fühlt sich im eigenen Körper fremd, getrennt von dem, was man unter „Selbst“ oder „Ich“ versteht. Erst nach dem Eingeständnis, nicht binär, also weder Mann noch Frau zu sein, fühlt er sich zum ersten Mal im eigenen Körper zu Hause.
Warum der Rückgriff auf Literatur? Die weit verbreitete Vorstellung einer -nur-binären Menschheit wird in Frage gestellt. Deswegen werden nichtbinäre Menschen oft als abartig und abstoßend abgelehnt, im Extremfall will man sie ausmerzen. Hier schafft Literatur ein tieferes Verständnis für Mensch-Sein, beeinflusst den gesellschaftlichen Diskurs und letztlich auch Rechtsprechung und Gesetze.

IV. Rechtsprechung und Gesetze haben sich gewandelt – der Entwurf zum SBGG

Bestes Beispiel hierfür ist das „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag“ (SBGG). Es liegt als Kabinettsentwurf vor und soll im November 2024 das „Transsexuellengesetz“ (TSG) aus dem Jahr 1981 ablösen.

Der Entwurf regelt ausschließlich die Änderung des Geschlechtseintrages und der Vornamen, nicht die Frage, ob körperliche Eingriffe vorgenommen werden dürfen. Menschen können sich als männlich, weiblich oder seit einem Beschluss des Bundesgerichtshofes (2020) auch als divers eintragen lassen.

Volljährige und Menschen ab dem 14. Lebensjahr können zukünftig nach dem SBGG-Entwurf Änderungsanträge beim Standesamt stellen. Nach dem noch geltenden TSG sind die Amtsgerichte zuständig.
Allerdings müssen die Sorgeberechtigten zustimmen. Wird die Zustimmung verweigert, kann diese durch das Familiengericht ersetzt werden, Diese Regelung gilt auch für andere Belange von 14-jährigen. Bei Minderjährigen unter 14 Jahren können nur die Sorgeberechtigten eine Änderungserklärung abgeben.
Nach einer Sperrfrist von einem Jahr kann der Eintrag erneut geändert werden.

Das Thema ist schambesetzt und geprägt von sehr unterschiedlichen religiösen, ideologischen und kulturellen Vorstellungen. Das führt zu kontroversen, zum Teil hitzigen Debatten, die längst in den Kinderstuben angekommen sind.

V. Die (fehlende) Zustimmung der Sorgeberechtigten zum Wohl des Kindes

Kritiker des Entwurfes rügen, dass Minderjährige abhängig sind von der Zustimmung der Sorgeberechtigten. Sind diese der Ansicht, schon der geänderte Geschlechtseintrag, nicht zu verwechseln mit einer Geschlechtsumwandlung, widerspräche dem Wohl ihres Kindes, werden sie die Zustimmung verweigern.

Wie aber ist das Kindeswohl, ein zentraler Begriff im Familienrecht, auszulegen? Fest steht, dass der gesellschaftliche Wandel in den letzten Jahrzehnten vor dem Eltern-Kind-Verhältnis nicht Halt gemacht hat. So hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Kinder Grundrechte haben, die sie in der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit schützen.
Ist die Geschlechtsidentität Teil des Persönlichkeitsrechtes und damit schützenswert? Daran dürfte kein Zweifel mehr bestehen. Aber wie sieht der Schutz dieses Rechtes aus? Muss unterschieden werden zwischen körperlicher Geschlechtsumwandlung und – nur – dem Eintrag einer Geschlechtsänderung?

Die Vorstellung über Geschlechtsidentität und -diversität sowie deren Akzeptanz hat sich im Sinne einer Ent-Pathologisierung geändert. Und dies beeinflusst auch das Verständnis von Kindeswohl.
Bei dessen Auslegung muss das sexuelle Selbstbestimmungsrecht als Teil des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit des Minderjährigen beachtet werden.
Hiermit haben sich die Gerichte zu befassen, wenn Eltern die Zustimmung verweigern. Aber nicht nur Richter und Richterinnen, alle Beteiligten im familiengerichtlichen Prozess, Kinder, Eltern, Verfahrensbeistand, Vertreterinnen des Jugendamtes, psychologische evtl. auch medizinische Sachverständige müssen ihre Vorstellungen austauschen und die Grenzen des Kindeswohls neu definieren.

VI. Berücksichtigung des Kindeswillen bei Änderungsanträgen nach dem SBGG-Entwurf

Mit zunehmendem Alter, so die einhellige Meinung in Rechtsprechung und Literatur, ist der Wille des minderjährigen Kindes zu berücksichtigen, auch er ist Bestandteil des grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsrechts.
Nach dem SBGG-Entwurf ist allein der Wunsch nach Änderung des Geschlechts maßgebend, somatische Maßnahmen, seien sie operativ oder hormonell sind keine Voraussetzung mehr für die Änderung des Geschlechtseintrages.
Anders noch das TSG, das u.a. geschlechtsangleichende Operationen und Zwangssterilisation zur Voraussetzung hatte, Regelungen, die als verfassungswidrig aufgehoben wurden.

Was bedeutet das nun für Julia, die Julius sein möchte?

Sie kann nach dem SGBB ihren Geschlechtseintrag ohne körperliche Eingriffe ändern, sie kann ihren Vornamen ändern, sie kann ihre andersgeschlechtlichen Anteile sogar nur zeitweise ausleben und den Eintrag wieder rückgängig machen. Möchte sie weder Julia noch Julius sein, also nicht-binär, dann wählt sie den Eintrag divers.

Die Hürden sind gering, da diese Änderung des Geschlechts reversibel ist. Aus religiösen, weltanschaulichen oder pädagogischen Gründen kann das für Eltern aber ganz anders aussehen.

VII. Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen bei körperlicher Geschlechtsum-wandlung

Wie ist der Wunsch des Kindes nach einer somatischen Geschlechtsänderung zu beurteilen, die mit schweren medizinischen, irreversiblen Eingriffen in den Körper verbunden ist?
Der Wille des Kindes mag hier ausgeprägt stark sein, dennoch muss die Einwilligungsfähigkeit besonders kritisch geprüft werden. Diese ist nur zu bejahen, wenn der Jugendliche die gravierenden Konsequenzen der Geschlechtsumwandlung überblicken kann. Das heißt, er muss die Risiken und Chancen realistisch einschätzen können. Neben dieser Einsichtsfähigkeit muss er den Überblick auch in der Ausführungsphase behalten und die Durchführung der schmerzhaften körperlichen Maßnahmen in den einzelnen Stadien bis zur letzten Konsequenz als richtig auf sich nehmen.

Bei einem pubertierenden Menschen hängt dies entscheidend von seiner Reife und hormonellen Verfassung ab, die in dieser kritischen Entwicklungsphase häufigen Schwankungen unterliegt, wodurch die Einsichtsfähigkeit nicht unerheblich getrübt werden kann.

Auch wenn Minderjährige ihr Geschlecht und ihren Körper hassen, eher sterben als Julia oder Julius bleiben wollen, sind hohe Hürden zu überwinden bevor der Eingriff vorgenommen werden darf. Verständlich, da es sich um – irreversible – Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit handelt, ein Rechtsgut, das ebenfalls vom Grundgesetz geschützt wird.
Welche Schritte Eltern und Kinder auf sich nehmen müssen, soll demnächst auf unserer Website dargestellt werden. Dabei wird auch auf die Bedeutung eingegangen, die das jüngst verabschiedete „Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ (DSD-Disorders/Differences of Sex Development) vom Mai 2021 hat.

Zum Schluss:
Eltern wie Kinder beraten wir gern, wenn Sie Fragen zur Änderung des Vornamens, des Geschlechtseintrages oder zur Geschlechtsumwandlung haben.

Margarete Fabricius-Brand

Margarete Fabricius-Brand

Als Fachanwältin für Familienrecht mit langjähriger Praxiserfahrung und Diplom-Psychologin verfüge ich über Spezialkenntnisse, die mich befähigen, Ihre familienrechtlichen Probleme zu lösen.