Eine ganz normale Scheidung?

Meistens hat, wenn zwei sich scheiden, einer etwas mehr zu leiden.

Vor dem Saal 2018 des Amtsgerichts Hannover steht auf dem Aushang „Scheidung in der Ehesache Kralle./.Kralle. Ich warte mit Herrn Kralle auf seine Frau, die auf keinen Fall geschieden werden will.

Ist das Trennungsjahr abgelaufen?

Die Richterin fragt Herrn Kralle, seit wann er getrennt lebt, und ob er geschieden werden will. Er ist vor zwei Jahren aus der Ehewohnung ausgezogen. Er möchte geschieden werden. Ich stelle den Scheidungsantrag für Herrn Kralle. Das kann Herr Kralle nicht ohne Anwältin tun.

Frau Kralle – sie hat keine Anwältin – möchte auf keinen Fall geschieden werden: Sie ist katholisch und darf sich deswegen schon nicht scheiden lassen. Außerdem hat ihr Mann bei der Hochzeit versprochen, ihr in guten wie in schlechten Zeiten beizustehen. Sie liebt ihn immer noch, und er braucht nur etwas Zeit, um sich zu besinnen. Dann wird er wieder zu ihr zurückkehren. Meint sie.

Sie habe gehört, dass die Ehe erst nach drei Jahren geschieden werden darf, wenn sie nicht zustimmt. Schließlich macht ihr Mann jede Woche den großen Einkauf für sie, sie kocht ihm sein Lieblingsgericht, und dann essen sie gemeinsam in ihrer Wohnung.

Die Richterin fragt Herrn Kralle, er habe gehört, was seine Frau gesagt habe, kann er sich vorstellen die Ehe fortzusetzen? Nein, das kann er nicht.

Die Ehe ist unauflösbar nach Vorstellung der katholischen Kirche

Zunächst fragt die Richterin fragt Frau Kralle, ob sie sich einen eigenen Anwalt nehmen möchte. Nein, das möchte sie nicht. In Deutschland erklärt die Richterin, sind Kirche und Staat getrennt. Religiöse Vorstellungen von der Unauflösbarkeit der Ehe widersprechen unseren Gesetzen. Wollen sich beide Eheleute nach einem Jahr Getrenntleben scheiden lassen, wird die Ehe geschieden. Widerspricht einer, dann muss sie prüfen, ob das Trennungsjahr abgelaufen und die Ehe zerrüttet ist. Das macht sie durch Anhörung beider Eheleute. Diese müssen die Wahrheit sagen, wer vor Gericht lügt, macht sich strafbar, so werden die Eheleute durch die Richterin belehrt.

Was heißt Getrenntleben im Sinne des Gesetzes?

Herr Kralle ist vor zwei Jahren in eine eigene Wohnung gezogen. Nach dem Auszug, sagt Frau Kralle, hätten die Eheleute noch einige Male miteinander geschlafen. Wann das letzte Mal? Vor einem halben Jahr. Stimmt nicht, sagt Herr Kralle. Das war nur einmal kurz nach der Trennung. Es stimmt, er macht für seine Frau den „großen Einkauf“, weil sie kein Auto und kranke Knie hat. Ostern und Weihnachten feiert er zusammen mit ihr, allen Kindern und Enkeln. Von seiner Frau, und nicht von der Familie, will er geschieden werden.

Frau Kralle sagt, nach wie vor näht sie noch seine Knöpfe an und fährt mit ihm zur Schwiegermutter ins Altersheim. Stimmt. Nur, für Herrn Kralle ist das wie Nachbarschaftshilfe und eine Notlüge gegenüber seiner kranken Mutter, die keine Aufregung vertragen kann. Er wohnt allein, versorgt sich selbst, seiner Frau überweist er Unterhalt auf ihr eigenes Konto. Das Vermögen ist gerecht geteilt, und die Lebensmittel muss sie ihm bezahlen. Frau Kralle bekommt jede Woche einen Blumenstrauß von ihrem Mann. Stimmt, der steht auf ihrer Einkaufsliste. Herr Kralle will auf jeden Fall geschieden werden.

Darf die Ehe erst nach drei Jahren geschieden werden?

Frau Kralle kann von keinen Gemeinsamkeiten – zum Beispiel Ferien, Ausflügen oder Zusammenwohnen wechselweise in der einen, dann in der anderen Wohnung – berichten. Sie stimmt der Scheidung dennoch nicht zu.

Nochmals die Frage der Richterin an Herrn Kralle, ob er den Scheidungsantrag zurücknimmt. Ich sage nein, auf keinen Fall.

Die Richterin erklärt, sie werde heute noch nicht entscheiden. Sie muss prüfen, ob die Ehe noch besteht: Die Eheleute wohnen zwar in getrennten Wohnungen, aber wie sind die Gemeinsamkeiten zu bewerten? Nur wenn die Ehe zerrüttet ist, darf jetzt geschieden werden, ansonsten erst nach Ablauf von drei Jahren. Nach so langer Zeit wird die Zerrüttung vermutet, und die fehlende Zustimmung zur Scheidung wird nicht mehr beachtet. In vier Wochen wird sie ihre Entscheidung verkünden. Zu diesem Termin muss niemand erscheinen.

Wie wird die Richterin entscheiden?

Herr Kralle ist nervös. Wird er geschieden? Ich meine ja, das Trennungsjahr ist abgelaufen. Die Ehe ist zerrüttet. Die Beispiele von Frau Kralle widerlegen dies nicht. Herr Kralle muss sich nicht „verbiegen“, er „darf“ seiner Frau beistehen und sie respektvoll behandeln, auch wenn die Ehe für ihn beendet ist. Die eheliche Solidarität besteht während der Ehe, während der Trennungszeit und sogar noch nach der Scheidung.

Bedenke:

Was einer ist, was einer war, beim Scheiden wird es offenbar (Matthias Claudius).

Margarete Fabricius-Brand

Margarete Fabricius-Brand

Als Fachanwältin für Familienrecht mit langjähriger Praxiserfahrung und Diplom-Psychologin verfüge ich über Spezialkenntnisse, die mich befähigen, Ihre familienrechtlichen Probleme zu lösen.