Zum Rechtsanspruch auf Klärung der eigenen Abstammung

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 19. April 2016 schränkt den Anspruch auf Klärung der eigenen Abstammung ein

Zum Sachverhalt: Eine 66 Jahre alte Frau wollte einen fast 90-Jährigen zum Gentest zwingen. Diesen Anspruch hat sie nicht, denn der Mann, den sie für ihren Vater hält, ist nicht der Ehemann ihrer Mutter.

Seit 2008 können in einer Ehe Vater, Mutter und Kind verlangen, dass ein Gentest gemacht wird um zu klären, ob der Ehemann auch der Vater ist. Das Recht, die Abstammung auf diese Weise zu klären, haben nur Mitglieder einer ehelichen Familie. Diese enge Begrenzung halten die Verfassungsrichter mit dem Grundgesetz vereinbar, schwer verständlich für die Klägerin, ein Glück für Männer, die ein Kind gezeugt haben oder dessen zu Unrecht verdächtigt werden.

Der nichteheliche Seitensprung darf – noch – Geheimnis bleiben.

Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung ist Teil des Persönlichkeitsrechtes eines jeden Menschen. In dieses Grundrecht wird bei Aufklärung der Abstammung eingegriffen, es sind aber noch weitere Grundrechte betroffen.

So haben der vermutete, leibliche Vater und die eheliche Mutter ein Recht auf Achtung der Privat- und Intimsphäre. Hieraus folgt, dass geschlechtliche Begegnungen nicht offengelegt werden müssen. Außerdem wäre die Durchführung der genetischen Untersuchung gegen den Willen des Mannes ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit und ein Verstoß gegen sein informationelles Selbstbestimmungsrecht.

Auch die Ehe und Familie des vermuteten leiblichen Vaters genießt den Schutz des Grundgesetzes (Art. 6).

Also: Schonzeit für den unverheirateten Mann, der mit einer verheirateten Frau ein Kind zeugt bzw. verdächtigt wird, dies getan zu haben?
So sehen es die Verfassungsrichter, die das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung weniger schützenswert finden als die Rechte der anderen Beteiligten. Das lässt Fragen offen.

Warum soll der Seitensprung eines Ehemannes aufgeklärt werden, der des „Nebenbuhlers“ hingegen nicht ?

Ist das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung ein Menschenrecht?

Der Wunsch nach Kenntnis der eigenen Abstammung ist ohne Zweifel zutiefst menschlich. Sollte er nicht Vorrang haben vor allen anderen Persönlichkeitsrechten? Wir wissen, Ehen werden geschlossen und geschieden, das Band zwischen Vater und Kind kann nicht „geschieden“ werden.

Es ist richtig, dass Grundrechte abgewogen und – möglichst– Schäden vermieden werden sollten, die bei Aufklärung der Abstammung entstehen können. Aber geht es hier nicht um ein Menschenrecht mit absolutem Vorrang?

Das Strafrecht verbietet die Ehe und Zeugung von Kindern zwischen Geschwistern, nach jetziger Gesetzeslage könnte man sich unschuldig schuldig machen. Ein kleines aber dennoch bestehendes Risiko, lebt man zum Beispiel unerkannt als Geschwister in einer Stadt.

Wie sollte eine Reform der Abstammung aussehen?

Man könnte die Hürden für eine allgemein zugelassene Abstammungsuntersuchung hoch halten, um leichtfertige Beschuldigungen zu erschweren, aber man sollte sie zulassen, so – erstmalig – geschehen im Jahr 2008 für die eheliche Familie.

Wie man hört, gibt es im Bundesministerium der Justiz einen Arbeitskreis, der über die Reform der Abstammung berät. Dabei werden sich die JuristInnen auch Gedanken machen müssen über die anonymen Samenspender, die – derzeit – noch geschützt sind, oder über die Befruchtung von Leihmüttern, die das Kind gegen Bezahlung für andere austragen.

Welchen Schaden hat ein Mensch mit zwei Vätern, einem leiblichen und einen ehelichen? Ist das nicht allemal besser als ein „Geistervater“, den man nicht kennt, von dem man aber wie die 66-jährige Klägerin ein Leben lang nicht los kommt?

Bedenke:

Nicht Fleisch und Blut, das Herz macht uns zu Vätern und zu Söhnen – Friedrich Schiller, Die Räuber

Margarete Fabricius-Brand

Margarete Fabricius-Brand

Als Fachanwältin für Familienrecht mit langjähriger Praxiserfahrung und Diplom-Psychologin verfüge ich über Spezialkenntnisse, die mich befähigen, Ihre familienrechtlichen Probleme zu lösen.