Domenico Starnone – AUF IMMER VERBUNDEN

Über das Verhältnis von Recht und Literatur – überwiegend Strafrecht – wurde viel geschrieben und dabei immer die Frage aufgeworfen, ob Literatur unsere Erfahrungen vermehren und unsere Einsichten erweitern kann. In der fiktiven Welt eines Romans finden wir keine realen Personen der Gegenwart oder Vergangenheit auch wenn der Autor sich an Erlebtes und Angeschautes anlehnt. Wir finden eine virtuelle Realität, die uns – wenn auch nicht die ganze Welt erklärt so doch – wichtige Vorgänge deutet. Gelingt dies nicht, sollte das Material getrost den Sozialforschern oder Reportern überlassen werden.

Auf unserer Website werde ich nicht nur familienrechtlich wichtige Fälle sondern jetzt auch in loser Folge Romane vorstellen. Dabei wird der literarische Text nicht benutzt, um (m)einen konkreten Fall zu lösen. Vielmehr möchte ich unseren Mandantinnen und Mandanten Bücher vorstellen, aus denen sie buchstäblich klug werden können. Ich selbst habe – glückhaft – erfahren, dass durch die Beschäftigung mit Literatur, meine Beratung mehr Tiefe bekommt.

Der Roman des italienischen Autors besteht aus drei Teilen, in denen das Ehepaar Vanda und Aldo sowie ihre beiden Kinder Sandro und Anna auf ihr Familienleben zurückblicken.

Teil I

besteht nur aus Briefen von Vanda, in denen sie Aldo schreibt, wie verzweifelt sie ist, dass er sie wegen der schönen jungen Lidia verlassen und sich tagelang nicht gemeldet hat. Aus Tagen werden Monate und schließlich vier Jahre. Sie hat geglaubt, dass sich die Liebe nie ändert, erst recht nicht, wenn man verheiratet ist. Sie verlangt von Aldo eine Erklärung, warum er Lidia vorzieht.

Aldo besucht die Kinder nur sporadisch. Vanda wirft ihm vor, sich nicht liebevoll um sie zu kümmern. Bei jedem Treffen könne er nicht schnell genug wieder gehen und halte sie aus seinem Leben mit Lidia heraus. Vanda verarmt, zieht in eine preiswertere Wohnung und hält sich mit kleinen Jobs über Wasser. Über die Kinder ist in den Briefen zu lesen, dass sie von Unsicherheiten und Ängsten geplagt sind.

Als Vanda einen Selbstmordversuch macht, besucht Aldo sie nicht im Krankenhaus. Den Unterhalt, den er ihr zahlt, spart sie für die Kinder, nachdem sie eine feste Stelle bekommen hat.

Der Brief-Teil endet nach vier Jahren mit dem Wunsch der Kinder, den Vater zu sehen und Ermahnungen an Aldo, sie nicht -wieder- zu verletzen.

Teil II

beginnt fünf Jahrzehnte später mit der Erzählung von Aldo. Das Ehepaar lebt wieder zusammen und bereitet seine Reise in die Ferien vor. Eine junge Zustellerin bringt ein Paket, folgt Sandro in die Wohnung, streichelt LABES, den Kater. Sein Name bedeutet – so Aldo’s Erklärung – das Tier. Die Paketbotin fordert und bekommt fünf Euro zu viel. Das führt zu einem Streit zwischen dem Paar. Vanda, extrem sparsam, wirft ihm vor, trotz seines Alters immer noch so dumm zu sein, auf die Reize einer jungen Frau hereinzufallen. Ihr Sarkasmus und Ärger machen ihn nervös. Er lügt Vanda an, sich über die Paketbotin beschwert zu haben.

Seit 52 Jahren organisiert Vanda das Leben von Aldo, er folgt ihren Anweisungen ohne zu widersprechen. Jetzt packt er die Koffer und arbeitet „Schichtpläne“ aus für die Kinder, die sich bei der Betreuung von Labes während der Abwesenheit der Eltern in der Wohnung nicht begegnen dürfen, weil sie heillos zerstritten sind. Aldo setzt sich durch, dass der von Vanda so heiß geliebte Labes nicht mit in die Ferien fährt.

Kurz vor der Abfahrt zieht ein Trickbetrüger 100 Euro aus dem gezückten Geldbeutel von Aldo, was für erbitterten Streit auf der ganzen Fahrt in die Ferien sorgt. Zurückgekehrt aus den Ferien steht die Tür zur Wohnung halb offen, sie ist völlig verwüstet und Labes verschwunden. Der Nachbar will ein Pärchen gesehen haben, die Polizei hilft nicht.

Aldo fängt an, die Wohnung aufzuräumen. Dabei kommen ihm viele Erinnerungen: Beim Betrachten alter Fotos von Vanda fällt ihm auf, dass sie schön aussieht, was er vergessen hat. Damals hatte er seine Frau gern, die Heirat war ein Abenteuer, das sich veränderte als die Kinder kamen. Dann verliebte er sich in Lidia. Eine heimliche Liebschaft lehnte er ab. Also zog er zu ihr, stritt sich ständig mit seiner Frau. An die Kinder kann er sich kaum erinnern, nur dass sie still waren, Fernseher guckten und die Mutter, bei den Umgängen stets anwesend, ununterbrochen an ihm herumnörgelte.

Die Liebe zu Lidia gab ihm Kraft. Der Schmerz, den Vanda und die Kinder empfanden, erreichte ihn nicht. Er hatte gelernt, wegzuhören, wenn seine Eltern sich stritten und prügelten. Seitdem verschloss er Ohren und Augen vor dem Kummer, den er selbst anrichtete. Sogar beim Selbstmordversuch von Vanda besuchte er weder sie noch die Kinder.

Zunehmend überwachte er seine schöne, junge Geliebte und fürchtete, von ihr verlassen zu werden. Bei einem Treffen mit dem mittlerweile 13-järigen Sandro und der 9-jährigen Anna bekommt sein “Weghör-Panzer“ einen Riss. Die Kinder fragen, wie er die Schuhe bindet und signalisieren ihm, nur er habe eine bestimmte Methode und die habe auch Sandro. Die mit den Kindern verpassten Rituale rühren ihn zu Tränen, die er vor Lidia versteckt.

Seine Ängste steigen, die Geliebte zu verlieren. Seine Kinder drängen, sie wollen mit ihm zusammen sein, er besucht sie zu Hause bei Vanda, die ihn freundlich aufnimmt, wenn er gefügig ist und gehässige Bemerkungen macht, wenn er sich falsch benimmt. Als Lidia auf Geschäftsreise ist, gibt er dem Drängen der Kinder nach und bleibt in der Wohnung von Vanda, es ist bequemer für ihn.

Noch einmal kehrt er zu Lidia zurück, weil er ohne sie nicht leben kann. Als er ihr vorschlägt, eine heimliche Liebschaft zu führen und die Telefonate der Familie immer zudringlicher werden, beendet Lidia die Beziehung. Daraufhin kehrt er zur Familie zurück.
Im Chaos der verwüsteten Wohnung sitzend gesteht Aldo sich ein, dass er irgendwann anfing, sich vor seiner Frau zu fürchten. Sie raubte ihm die Kraft, den Mut und die Sprache .

Er weiß, Vanda hat nie den Schmerz vergessen, den er ihr zugefügt hat. Sie leidet, wird bösartig, verächtlich und unnachgiebig. Er muss ihr immer Recht geben, sonst wird die Stimmung eisig. Sie kümmert sich um alles, und er achtet darauf, keinen Fehler zu machen. Er versuchte, sich in die Erziehung der Kinder einzumischen, die ihn flehentlich anblicken, die Mutter mit ihrem LERNEN LERNEN LERNEN und ständigen Verboten zu stoppen. Das duldet sie nicht, er gibt auf und enttäuscht die Kinder.

Rückblickend erkennt er, dass ihn seit der Versöhnung mit seiner Frau nichts Emotionales mit ihr verbindet. Jahrelang hatte er nach Lidia wechselnde Geliebte.
Er hat die letzten vierzig Jahre Lidia immer mal wieder getroffen. Nie hat er aufgehört sie zu lieben. Seine Frau darf das nicht wissen.

Beim Aufräumen findet Vanda ein Latein-Wörterbuch, aufgeschlagen bei dem Buchstaben L. Dort steht die Bedeutung für LABES, es ist Unheil und Verderben, Untergang und Einsturz, Schmach und Schande.

Vanda gerät außer sich. Sie wirft ihrem Mann vor, er habe sie 16 Jahre lang „Unheil und Schmach“ durch die Wohnung rufen lassen. Sie beschimpft ihn wütend: Als seine Ehefrau mit Sex und Kindern war sie angesehen, Liebe empfand sie nicht für ihn.Und auch den Kindern gegenüber empfinde sie nur eine große Gleichgültigkeit.

Sie glaubte ihm nie, Lidia nicht mehr zu lieben und tat alles, um ihn zu ihr zurückzutreiben. Doch je mehr sie ihn quälte desto gefügiger wurde er. Unverdrossen habe er ihr gezeigt, wie sehr er Lidia liebte.

Jahrzehnte seien mit dem grausamen Spiel vergangen, man habe sich in der Katastrophe eingerichtet, die Schande genossen, die sie zusammengehalten habe. Sie mag mit über achtzig Jahren nichts an ihrem Leben, weder sich selbst noch ihn. Und ihr größter Ärger sei, dass nicht sie ihn verlassen hat.

Die Postbotin klingelt, um das Gerät abzuholen und Aldo würgt die Angst, die er als Kind empfand, wenn sein Vater sich entschloss, mit der Familie gemeinsam zu essen. Man wusste nie, ob er aus einer unberechenbaren Laune heraus zuschlug.

Er fürchtet, die Postbotin würde ihn erpressen mit den Polaroid-Fotos, die er in der Wohnung versteckt hatte und nach dem Einbruch nicht mehr finden konnte, Fotos mit Lidia, die ihn an eine Zeit erinnerten, in denen er kurz voller Lebensfreude gewesen war. Beim Fund der Fotos wäre seine Gefügigkeit in all den Jahren umsonst gewesen, Opfer, die er erbracht hatte, um im Alter nicht allein und ohne Beistand zu sein.

Teil III

beschreibt das Treffen der 45-jährigen Tochter Anna mit dem fast 50-jährigen Bruder Sandro in der Wohnung der Eltern. Anna ist fett, ohne Mann und unglücklich. Sandro ist schlank, gutaussehend, geschieden, hat drei Geliebte, vier Kinder und Sex mit weiteren Frauen. Er war der Liebling der Mutter und der Vertraute des Vaters. Er hat alles an sich gerissen, Zuneigung, Respekt und Geld, für die Schwester blieb nichts übrig. Sie hasst den Bruder.

Den Vater hat er mit einem Trick wieder in die Familie zurückgeholt. Als er 13 Jahre alt war, erzählte er dem Vater, er binde sich wie er die Schuhe zu. Der Vater war gerührt. Er wusste nicht, dass die Mutter Anna zuvor gesagt hatte, Sandro binde sich die Schuhe genauso lächerlich wie der Vater. Sie solle ihm das sagen.

Anna schildert das Familienleben als reinste Hölle. Die Geschwister werfen sich gegenseitig vor, die schlechtesten Eigenschaften von Mutter und Vater geerbt und noch auf die Spitze getrieben zu haben.

Die Mutter habe ihre Liebe zu den Kindern nur in Geld ausgedrückt, unter ihrem Geiz hätten alle gelitten. Jetzt wäre es gerecht, die Eltern zu bewegen, die Wohnung zu verkaufen und den Kindern das Geld zu geben.

Anna ist voller Hass. Von den Eltern habe sie gelernt, dass man lieber keine Kinder kriegen sollte. Deswegen findet sie das Leben des Bruders voller Sex und Besamung der Frauen abstoßend. Eine ungeheure Wut bricht aus ihr heraus:

Die Mutter war für den Vater – genau wie die Kinder – das Gegenteil von Lebensfreude. Deswegen ging er weg. Und sein Fehler war, wieder kehrt zu machen. Hat man andere schon mal zutiefst verletzt, so sehr, dass es sie umbringt, muss man die volle Verantwortung für dieses Verbrechen übernehmen. Verbrechen kennen keine halbe Sachen. Er kehrte zurück und ließ den Sadismus der Mutter über sich ergehen. Vor den Augen der Kinder hat die Mutter den Vater, dem sie nie mehr traute, ständig auf die Probe gestellt, ob er sich so für die Familie aufzuopfern bereit war wie sie, ein unheilvolles Opfer.

„Es sind unsere Eltern, die uns eine Wiedergutmachung schulden! Wegen der Verwüstungen, die sie in unserem Kopf und unseren Gefühlen angerichtet haben…“(S. 162).

Anna verrät ihrem Bruder, dass LABES Unheil und Ruin bedeute, ein Wort, das auf den Punkt bringe, wie sie sich bei den Eltern gefühlt habe und das 16 Jahre in der Wohnung gerufen wurde.

Sandro zeigt ihr den Würfel im Arbeitszimmer des Vaters der hohl ist. Die Polaroid Fotos von Lidia fallen heraus (166).

Anna erinnert sich:

„Lidia. Bei diesem Namen versetzt es mir noch heute einen Stich. Sobald Mama ihn in den Mund nahm, wurde ihre Verzweiflung zu unserer, wurden wir drei zu einer Einheit. Aber bei dieser Gelegenheit betrachtete ich die junge Frau aufmerksam, und die Einheit, zu der ich gehörte, zerbrach. Wie schön sie ist! , dachte ich. Und wie schillernd! Wenn ich einmal groß bin, will ich genauso aussehen wie sie. Sofort bekam ich Schuldgefühle, spüre sie noch heute, mein Leben lang. Ich merkte, dass ich nicht länger sein wollte wie meine Mutter, und ich sie auf diese Weise verriet. Hätte ich den Mut dazu gehabt, hätte ich liebend gern gerufen: Papa, Lidia, ich will mit euch spazieren gehen, ich will nicht bei Mama bleiben, sie macht mir Angst. Doch hier und heute habe ich großes Mitleid mit meiner Mutter und mir“ (S. 167).

Seit dreißig Jahren weiß Sandro von der Existenz der Fotos. Er hat nie etwas gesagt, auch nicht von den Affären der Mutter, die er aber nicht beweisen kann.

Als Geliebter, Ehemann und Vater, aus Sicht der Kinder ist ihr Urteil über den Vater eindeutig:

„Was für ein Mann! Nie wehrt er sich, sagt ständig ja und lässt sich bis heute von Mama gängeln. Wie ich es gehasst habe, dass sie ihn herumkommandierte und er sich quälen ließ ohne je zu rebellieren. Wie ich es gehasst habe, dass er nie etwas getan hat, um uns vor ihr in Schutz zu nehmen.“ (S.168).

Dann verbringen sie die vergnüglichsten Stunden in der Wohnung und verwüsten sie. Zum Schluss nimmt Anna den von der Mutter so heiß geliebten Kater mit ohne ihr eine Nachricht zu hinterlassen.

Das Drama einer ganzen Familie

Vanda, die Verlassene, hat zunächst unser Mitgefühl. Sie ist tapfer und schlägt sich durch, auch wenn der Betrug des Mannes sie fast umbringt. Gerichtliche Hilfe sucht sie nicht beim Unterhalt sondern nur, um die elterliche Sorge allein zu erhalten. Unnötig, denn Aldo will ihr die Kinder gar nicht wegnehmen. Das Verfahren wird benutzt, um ihm vor Augen zu führen, dass er als Vater versagt hat. Vanda, die Gekränkte, prägt das familiale Zusammenleben, sie ist restriktiv, streng organisiert, zwanghaft, sie engt alle Familienmitglieder ein und lässt keine individuelle oder familiale Veränderung zu.

Jegliche Auseinandersetzungen über individuelle Bedürfnisse oder Erwartungen der Kinder oder des Mannes werden im Keim erstickt, eine pathologische Mutter-Kind-Beziehung und eine pathologische Ehe.

Vanda hat starre Vorstellungen von einer unwandelbaren Liebe, die sich in einer Ehe einstellt und ewig dauert. Als die Liebe scheitert, setzt Vanda die Ehe fort, jetzt getragen von Hass und Verachtung für den untreuen Ehemann.

Wir können nur mutmaßen, warum Vanda an der Ehe festhält. Bedeutet Ehe für sie, auf immer verbunden zu sein? Ist für sie das Eheversprechen immer noch lebenslang, auch wenn Scheidungen –selbst in Italien, wo der Roman spielt- gesellschaftlich akzeptiert sind? Oder ist sie nur anpassungsbereiter bzw. leidensfähiger als ihr Mann und hält alle Konflikte aus? Will sie ihm so beweisen, die bessere Hälfte zu sein, die ihre Kinder nie im Stich gelassen hat wie er es tat?

Sie bildet eine Einheit mit den Kindern und fordert deren absolute Solidarität gegen den untreuen Vater. Diese Zustimmung hilft Vanda, ihr seelisches Gleichgewicht zu wahren, Gefühle der Kinder kann sie nicht wahrnehmen.

Aldo bringt eine „biographische Hypothek„ mit und gibt diese Störung an die nächste Generation weiter.

Er hatte Angst vor seinem Vater, der trank und prügelte und so viel Leid über seine Familie brachte, dass er nur durchhielt, indem er sich unempfindlich machte, sich „ersparte“, Mitgefühl zu entwickeln. Es ist nicht verwunderlich, dass er seine Kinder nie unterstützt, der absoluten Tyrannei der Mutter zu entrinnen.

Der Vater ist kein Vorbild für Weiterentwicklung und Emanzipation, denn er meidet Konfrontationen, er kann nicht streiten und den Kindern zeigen, dass Streiten verbindet. Er ringt mit seiner Frau nicht um bessere Lösungen, sondern unterwirft sich ihrem Diktat. Er träumt von Lidia, mit der er seine Liebe nicht leben kann, nach ihr hat er Liebschaften, die ihn nicht lebendig machen. Er erträgt alles und bekommt nicht die erwünschte Harmonie. Was bleibt ist die Hoffnung, im Alter versorgt zu sein.
Der kleine verängstigte Junge ist in der Ehe „angekommen“ und scheitert kläglich.

Für Anna und Sandro sind die Eltern kein Vorbild. Ihr Bemühen, die Ehe aufrecht zu erhalten um den Preis von Offenheit und Lebendigkeit, hatte nur abschreckende Wirkung und hinterlässt seelische Verwüstungen

Sandro zeugt Kinder, zahlt für sie zwar Unterhalt, geht aber nicht das Wagnis ein, sich an eine Frau zu binden. Zu schnell könnte eine einzige Ehefrau zu einer mächtigen Mutter werden, die ihn und die Kinder tyrannisiert. Sexualität beweist ihm Kraft und Männlichkeit, ist aber von der Liebe abgekoppelt. Geborgenheit in einer Familie kann er nicht leben. Die Enttäuschung, die er den vielen Frauen zufügt, kann man sich leicht vorstellen, es berührt ihn nicht.

Anna bleibt in ihrer Wut an die Eltern gebunden. Sie plagt sich mit dem Verrat an der Mutter als sie sich heimlich wünschte, so zu sein wie Lidia und mit dem Vater und ihr weggehen will. Wegen dieses Wunsches hat sie Scham- und Schuldgefühle ohne erkennen zu können, dass sie seelisch missbraucht wurde und es lebenswichtig wäre, dies für sich zu klären ohne in Hass, Ablehnung und Vorwürfen zu verharren. Der Preis, den sie zahlt ist hoch: keine Kinder, kein Mann, keine attraktive Erscheinung, ein trauriger Mensch, der nicht zu leben weiß.

Man fürchtet, dass die Verwüstung der Wohnung nur ein sinnloser, aggressiver Akt und kein erster Schritt zu einer Befreiung ist.

Dem Text mag man vorwerfen, eher aus der Werkstatt eines Familientherapeuten zu stammen, weil der Autor das Drama der vier Personen wenig poetisch verfremdet sondern sehr diesseits und realistisch darstellt. Dennoch bekommt man ein Gefühl für die Tragik – weniger für die Schönheit – des Lebens und einen tieferen Einblick, dass es viele Wahrheiten gibt, die die Neigung zu verurteilen bremsen und zur Nachdenklichkeit anregen.

Margarete Fabricius-Brand

Margarete Fabricius-Brand

Als Fachanwältin für Familienrecht mit langjähriger Praxiserfahrung und Diplom-Psychologin verfüge ich über Spezialkenntnisse, die mich befähigen, Ihre familienrechtlichen Probleme zu lösen.