Parental Alienation Syndrom (PAS) – Oft festgestellt aber auch diagnostiziert?

Rückblick: Die amerikanischen Psychologinnen Wallerstein und Kelly erwähnten bereits im Jahr 1980 das Problem, dass Kinder sich mit -nur- einem Elternteil solidarisieren. Diesen Vorgang bezeichnete der Psychiater Gardner 1987 als Parential Alienation Syndrom.

Es liegt vor, wenn sich Kinder getrennt lebender Eltern ausschließlich einem Elternteil zuwenden und den anderen rigoros ablehnen und abwerten. Beruht die Ablehnung auf realen Erfahrungen wie körperlichem, sexuellem oder psychischem Missbrauch, wird PAS verneint. Nur bei nicht nachvollziehbarer Abwendung eines Kindes wird angenommen, dass der ablehnende Elternteil durch „Gehirnwäsche“ dem Kind seine eigene Ablehnung „eingeimpft“ hat.

Was sagt die Scheidungsforschung zur „Diagnose“ PAS?

Ohne Zweifel, es gibt Eltern, die ihre Kinder so beeinflussen, dass sie mit dem anderen Elternteil nichts mehr zu tun haben wollen. Dabei wird der Wille des Kindes bewusst manipuliert, oft auch „nur“ unbewusst aber dennoch wirksam. Dieses programmierende Verhalten eines Elternteils ist eine notwendige Bedingung für die Diagnose PAS. Sie dürfte aber wohl nicht ausreichend sein, berücksichtigt man die Ergebnisse der Scheidungsforschung der letzten 30 Jahre.

Schnell sind Täter und Opfer ausgemacht. Zu schnell, denn nicht selten wird dabei übersehen, dass es meist keine lineare Verursachung für PAS gibt. Die Ablehnung eines Kindes verläuft meist komplexer und bedarf der genaueren Analyse.

Ist der abgelehnte Elternteil tatsächlich nur deswegen Opfer, weil er keinen offenkundig traumatischen Beitrag zur Ablehnung seiner Person lieferte? Oder finden wir bei exakterer Betrachtung der ablehnenden Haltung z. B. kind-eigene Ängste heraus, die mit dem die Ablehnung induzierenden Elternteil wenig zu tun haben. Zu denken ist beispielsweise an

  • Kinder, die der dauernde Streit der Eltern über den Umgang oder gar ihren Lebensmittelpunkt so verstört, dass sie sich in ein „Lager“ begeben, um nicht zerrissen zu werden.
  • Kinder, die den Trennungsschmerz einfach nicht mehr ertragen und den Vater (meist sind Väter die Leidtragenden) deswegen nicht mehr sehen wollen
  • Kinder, die ihre Mutter nicht sehen wollen, weil sie ins Bodenlose gefallen sind, nachdem die Mutter sie verlassen hat (obwohl diese -nur- vor den Aggressionen des Ehemannes flüchten musste)
  • Kinder, die den anderen Elternteil durch Loyalitätsbekundungen gekränkt oder meinen gekränkt zu haben und deswegen – kindlich übertrieben – Rache und Vernichtung fürchten oder sich einfach nur schämen.

Die Entwicklungspsychologie bringt uns neue Erkenntnis

Der Blick weg von den streitenden Eltern auf das Kind ist möglich geworden, weil uns die Entwicklungspsychologie Instrumente an die Hand liefert, die Psyche von Kindern genauer zu erfassen und zwar orientiert am Stand ihrer jeweiligen kognitiven und psychischen Fähigkeiten.

Um ein Beispiel zu nennen:

Im Kindergartenalter fehlt Kindern die kognitive Reife, Loyalitätskonflikte zu erkennen. Lehnen sie einen Elternteil ab, so lässt sich diese Haltung relativ schnell korrigieren, wenn sie den abgelehnten Elternteil in einer Situation erleben, in der er liebevoll und fürsorglich ist. Eine behutsam angebahnte, liebevolle Begegnung kann die negative Beurteilung des Kleinkindes schnell „umdrehen“. Es wäre fatal, die Ablehnung des Kindergarten-Kindes als nicht situativ und schwer überwindbar einzuordnen.

Je älter Kinder werden, desto eher können sie sich in die Perspektive des anderen – abgelehnten – Elternteils einfühlen bzw. eindenken. Eine strikt ablehnende Haltung ist hier eher -kognitiv- beeinflussbar, erhöht also die Chance, die Ablehnung aufzulösen. Dennoch kann es bei dem ablehnenden Willen des Kindes bleiben, weil die Gründe der Abkehr vielschichtig sind und dem Kind in seiner konkreten Situation Schutz bieten können. Das gilt es jeweils herauszufinden.

Vermittlungsauftrag des psychologischen Sachverständigen

Wird Beeinflussung z. B. bei der psychologischen Begutachtung im familiengerichtlichen Verfahren festgestellt, kann, wenn es gut läuft, durch kindgemäße Intervention des Sachverständigen Ablehnung aufgelöst werden.

Was aber, wenn der ablehnende Elternteil Kontakte des Kindes weiterhin zu verhindern sucht, obwohl der Sachverständige meint, der Umgang mit dem anderen Elternteil ist gut und notwendig für das Kind ?

Soll dann der Umgang zwangsweise durchgesetzt werden? Liegt das nicht nahe, immerhin ist das Recht zum Umgang ein Grundrecht. Bei einer solchen Konstellation gerät der Sachverständige nicht selten in Empfehlungsnot. Sieht er doch auch, dass Kinder beim Umgang Probleme mit dem betreuenden Elternteil bekommen können, die für sie nicht auszuhalten sind.

Auch die Gerichte tun sich schwer, eine Entscheidung zu treffen, die dem Wohl des Kindes entspricht.

Bei einem angeordneten Umgang können die Beteiligten -überraschenderweise- erleichtert sein. Manchmal tritt aber auch in der Spätfolge das Gegenteil ein. Forschungen haben herausgefunden, dass 12-jährige, die zum Umgang gezwungen wurden, als junge Erwachsene den Kontakt abbrechen und erst wieder aufnehmen, wenn sie selbst Eltern geworden sind. Eine lange, schmerzliche Zeit des Wartens für den abgewiesenen Elternteil, oft auch dessen Eltern.

Soll gegen den erklärten Willen des Kindes überhaupt jemals ein Umgang angeordnet werden? Was bürdet man den Kindern auf, wenn ihr geäußerter Wille solche Folgen hat, Folgen, die sie evtl. nicht überblickt haben?

Wie sieht es aus mit unseren Vorstellungen über eine demokratische, moderne und kindbezogene Erziehung? Wir wollen, dass unsere Kinder mit wachsendem Alter und Reife Teil unserer Gesellschaft werden, so dass sie an dieser mitgestalten können. Erziehen wir unsere Kinder in der Weise, passiert es manchmal, dass sie einen starken Willen entwickeln, der Verstand aber noch nicht so weit entwickelt ist. Auch das müssen wir aushalten und begleiten.

An die eigene Profi-Nase packen

Waren nicht alle am Gerichtsverfahren Beteiligte erleichtert, endlich aus der Ohnmacht herauszutreten, die entstanden war, weil, ich sage jetzt mal die Mütter, den Vätern den Umgang rigoros verweigerten bzw. nicht ermöglichten und in deren Folge die Kinder den anderen Elternteil einfach nicht sehen wollten. Diese hartnäckige Front totaler Verweigerung weckte ein heftiges Strafbedürfnis gegenüber der entfremdenden Person. Es gab solche Urteile – aber geholfen haben sie wohl eher nicht. Damals war die Entwicklungspsychologie noch nicht so weit vorangeschritten wie heute. Aber einfacher, nein einfacher ist es auch heute nicht geworden.

Fazit

Die Diagnose PAS ist so unscharf, dass sie nicht ausreicht, hieraus Konsequenzen für den Umgang oder die Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes zu ziehen. Sie wird deswegen in der fachwissenschaftlichen Diskussion vermieden. Der Terminus fußt auf persönlichen, klinischen Beobachtungen von Herrn Gardner. Neuere Forschungen zeigen auf, dass die Wirkungszusammenhänge bei Kontaktablehnung vielfältiger sind als vor 30 Jahren angenommen.

Positiver Schluss:
Der Blick richtet sich mehr auf die Kinder. Sie können nichts dafür, wenn ihre Eltern sich trennen, diese damit nicht fertig werden, selbst Hilfe benötigen und niemand sie ihnen gibt. Kinder sind die schwächsten in diesem Prozess, für sie muss weiter um die beste Lösung gesucht, gerungen notfalls auch gestritten werden.

Margarete Fabricius-Brand

Margarete Fabricius-Brand

Als Fachanwältin für Familienrecht mit langjähriger Praxiserfahrung und Diplom-Psychologin verfüge ich über Spezialkenntnisse, die mich befähigen, Ihre familienrechtlichen Probleme zu lösen.